dimanche 1 juin 2008

Ist eine Monarchie in Georgien zeitgemäß?

Artikel erschienen in caucaz.com am 19/11/2007
Von Nicolas LANDRU in Leipzig, übersetzt von Fiona GUTSCH und Monika RADEK


© Nicolas Landru, Thron von Irakli II, dem vorletzten georgischen König (Kachetien)

Die Erklärung des Patriarchen der Orthodoxen Kirche Georgiens Ilia II. vom 7. Oktober, die sich für eine konstitutionelle Monarchie ausspricht, trifft Georgien nach zwei bewegten Wochen und am Tag nach einer schweren politischen Krise wie ein Paukenschlag. Die Mehrheit der Oppositionsparteien, die der Regierung mit ihren Forderungen nach Abschaffung der Regierung und Einführung eines parlamentarischen Systems den Kampf angesagt haben, ist auf diesen Zug mit aufgesprungen. Präsident Saakaschwili reagierte zwar mit Ironie, doch hat die Stimme des überaus angesehenen Patriarchen ein nicht zu überschätzendes Gewicht, insbesondere da keines der politischen Schwergewichte der Regierungspartei Einwände gegen die Erörterung dieser Idee erhob. Am 14. Oktober lobte Michail Saakaschwili anlässlich eines Besuchs des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel sogar die Orthodoxe Kirche und Ilia II. Mehr denn je erscheint die Kirche als ein Akteur der politischen Szene Georgiens, um den man nicht herum kommt.

Die politische Zwietracht – der Bürgerkrieg und die Revolution gehören einer noch sehr jungen Vergangenheit an – , eine immer willkürlichere Rechtsprechung, deutliche Anzeichen für eine präsidentielle Orientierung der Regierung – führen diese Faktoren zur Wiederherstellung einer vor zwei Jahrhunderten verschwundenen Monarchie? Oder zeugt die Idee vielmehr von einer zunehmenden Erstarkung einer national-religiösen Wiedergeburt, die Georgien seit der Rosenrevolution erlebt?

Ein Versuch, aus der Krise herauszukommen?

Die Erklärung des Patriarchen erfolgt zu einem innenpolitisch höchst kritischen Zeitpunkt. Die Spannungen zwischen der Regierungspartei „Nationale Bewegung“ und der Oppositionsbewegung haben seit Ende September eine neue Wendung genommen. Der ehemalige Innenminister, Irakli Okruaschwili, der im November 2007 entlassen wurde, hat mit skandalösen Behauptungen gegen den Präsidenten selbst zum Gegenschlag ausgeholt. Nach drei Tagen medialer Angriffe, in denen eine Anschuldigung nach der anderen folgte, wurde er am 27. September mit dem Vorwurf der Korruption und des Machtmissbrauchs während seiner Amtszeit verhaftet. Eine Koalition aus Oppositionsparteien protestierte gegen die plötzliche Verhaftung Okruaschwilis und die Instrumentalisierung der Justiz, auch wenn einige der Beteiligten ihn bis dato als ihren Erzfeind betrachtet hatten.

Die Festnahme Okruaschwilis, der mehrere Verhaftungen seiner ehemaligen Mitarbeiter vorausgingen, sieht ganz nach einer neuen Etappe von „Säuberungen“ des Präsidententeams und des „Liberty Instituts“ aus (dem unter anderem Innenminister Wano Merabischwili und Giga Boleria angehören), die zum wiederholten Male einen ihrer ehemaligen Verbündeten ausschalten. Laut den Vorwürfen der Opposition stellt sie zudem einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer „Präsidentialisierung“ der Regierung dar.

Einige Tage später eine erneute Wendung: Okruaschwili zieht medienwirksam in einem Geständnis seine Vorwürfe gegen den Präsidenten zurück. Er habe ihn zu Unrecht und auf Drängen des Millionärs und Medienmagnaten Badri Patarkazischwili verleumdet. Dieses Geständnis und 10 Millionen Lari Kaution wiederum verhelfen ihm zur Freiheit. Am 11. Oktober erklärt er seinen Rückzug aus der Politik – und das, nachdem er erst drei Wochen zuvor eine Partei gegründet hatte.

Dieses Ereignis lässt das politische Geschehen in Georgien noch intransparenter erscheinen. Die Rückkehr des kurz nach der Verhaftung Okruaschwilis nach London verreisten Patarkazischwili, seine Ankündigung, aufgrund der schwerwiegenden Ereignisse in die Politik zu gehen sowie die aggressive Rhetorik zwischen ihm und der Regierung lassen für die Präsidentschaftswahlen Ende 2008 ein sehr angespanntes politisches Klima erwarten. In einer Rede am 15. Oktober erklärte Saakaschwili mit scharfen Worten Patarkazichwili zum Prototypen des historischen „Verräters Georgiens“. Zwischen dem Regierungslager und dem Oligarchen herrscht damit Krieg. Die Opposition ihrerseits plant für den 2. November eine Massendemonstration in Tbilissi.

Institutionelle Unsicherheiten

Der Hintergrund dieser Ereignisse ist die Unbestimmtheit des gegenwärtigen politischen Systems Georgiens. Nach der Unabhängigkeit von 1991 ging der Aufbau stabiler demokratischer Institutionen mit zahlreichen Schwierigkeiten einher. Seit dem Bürgerkrieg ließ der Konsens lange auf sich warten und ist auch heute noch nicht vollständig erreicht (insofern, als zwei territoriale Einheiten, die theoretisch zum Land gehören, immer noch nicht Mitglied des Institutionenvertrags sind). Das politische System, das Schewardnadse etablierte, um das Land nach dem Bürgerkrieg zu stabilisieren, war eine hybride und unvollendete Konstruktion. Nichtsdestotrotz ermöglichte es in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre die Übernahme einiger Gesetze, die sich an westlichen Modellen orientierten. Anfang 2000 war der Weg zu einem zunehmend unabhängigen Parlament geebnet. Dieser Fortschritt wurde allerdings durch Korruption und Wahlbetrug verlangsamt, zu denen sich die Regierung Schewardnadses verleiten ließ, und endete 2003 schließlich in der „Rosenrevolution“. Seitdem hat die neue Regierung zwar neue Impulse für die Entwicklung öffentlicher Institutionen geschaffen, doch die 2004 erfolgte Novellierung der Verfassung von 1995 führte zu einer deutlichen Schwächung des Parlaments und zu einer Stärkung des präsidentiellen Charakters des Systems.

Im Endeffekt hat die weiterhin gültige Verfassung von 1995 einen provisorischen Charakter. Einige Aspekte des Systems sind immer noch nicht festgelegt; so wurde beispielsweise die Wahlgesetzgebung vor jeder Wahl immer wieder neu verhandelt und gehört bis heute zu den wichtigsten offenen Fragen. „Die Debatte darüber, für was für ein Georgien wir uns entscheiden sollten, dauert an“, sagte der Patriarch in der Einleitung seiner Rechtfertigung der Monarchie. Das gegenwärtige System wird zwar als semi-präsidentiell klassifiziert, von einigen Experten allerdings als „super-präsidentiell“ eingeschätzt. Seine Befürworter sehen in der Erweiterung der Macht des Präsidenten eine vorübergehende Entwicklung auf dem Weg zu einem europäischen System, die aufgrund der Instabilität des georgischen Staats, der schneller Reformen bedürfe, erforderlich sei. Nino Burdschanadse, Parlamentspräsidentin und eine der Hauptverbündeten Saakaschwilis, erklärte am 11. Oktober: „Ein präsidentielles System, insbesondere ein starker Präsident, ist in diesem Stadium sehr wichtig für Georgien“.

Die Betonung des Übergangscharakters ermöglicht der Opposition, die starke Macht des Präsidenten als „ungerecht“ und „realitätsfremd“ anzuprangern. Vor allem wird jeder Entwurf für ein System des Landes denkbar. In diesem Fall wirkt der Appell Ilias II., eine Verfassungsmonarchie nach britischem Vorbild einzuführen, inmitten der Konflikte zwischen der „Nationalen Bewegung“ und der Opposition sowie zwischen den Befürwortern eines präsidentiellen und eines parlamentarischen Systems, wie der Versuch, auf der einen Seite eine zu große Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten, auf der anderen Seite wiederum eine allzu große Schwächung des Staates zu verhindern, die ein parlamentarisches System mit sich führen könnte. Vor allem aber ist es ein Appell an die Einheit und den nationalen Zusammenhalt.

Nationale und religiöse Erneuerung

Die Rosenrevolution war die Ausgangsbasis für einen Aufstieg der Orthodoxen Kirche in Georgien. Nachdem 2002 mit dem Staat ein Konkordat geschlossen wurde (ein privilegierter Status, da die anderen religiösen Organisationen keines haben), lässt sich die Orthodoxe Kirche seit der Revolution öffentlich an der Seite der politischen Machthaber sehen. Und die Regierung zeigt sich mit ihr. Ilia II. hat bei den wichtigsten Zeremonien seinen Platz neben den Mächtigen, obwohl die Orthodoxie nicht den Status einer Staatsreligion hat. Die 2004 eingeführte neue Flagge verwendet das Kreuzsymbol, was bei der alten nicht der Fall war.

Aber nicht nur die Regierung beruft sich auf die Kirche: Die Opposition wird nicht müde, der Regierung mangelnden Respekt vor der Religion nachzusagen. Okruaschwili warf Saakaschwili vor, einen „inneren Hass“ gegen die Religion zu hegen. Seit 2003 ist das Ansehen der religiösen Institution in der öffentlichen Meinung so hoch, dass kein Politiker es wagen kann, sich gegen sie zu positionieren.

Nach außen zeigt sich das Aufblühen der Orthodoxie an den gigantischen kirchlichen Projekten wie dem Bau der monumentalen Dreifaltigkeitskirche (Zminda Sameba) in Tbilissi oder des bereits begonnenen riesigen Klosters in der Darial-Schlucht, einige Kilometer vor der russischen Grenze. Seit einigen Monaten thront die Statue des Heiligen Georg – sowohl ein religiöses wie auch ein nationales Symbol für den Sieg – auf einer Säule auf dem Freiheitsplatz in Tbilissi. Anlässlich des ökumenischen Besuchs am 14. Oktober erklärte Saakaschwili: „Die orthodoxe Kirche ist ein Richtungszeiger für Georgien und eine treibende Kraft zu seiner Erneuerung und baldigen Wiedervereinigung.“

Der Beginn der neuen Regierung ist mit der Wiederfindung einer nationalen Identität verbunden. Der Präsident zögert nicht, sich mit dem mittelalterlichen König David dem Erbauer zu vergleichen. Als ein Zeichen für die Verschmelzung von Nation und Religion als Legitimationsquelle fand ein Teil der Antrittszeremonie Saakaschwilis im Kloster von Gelati statt, wo die Gebeine von König David liegen. Die Regierung bezieht sich ständig auf historische Ereignisse wie die siegreiche Schlacht von Didgori, während die Nationalfolklore fest in das Programm der politischen Veranstaltungen eingebunden ist, vom Besuch George Bushs bis zu den Feierlichkeiten für die Revolution. Der inszenierte Erfolg des „Wiedergewinns“ der georgischen Identität – eine starke politische Legitimationsquelle – gründet auf dem Argument des historischen Rechtsanspruches, der wiederum notwendigerweise von der wichtigen Rolle der orthodoxen Religion ausgeht.

Die Nationale Bewegung beim Wort genommen?

Die Erklärung Ilias II. folgt gewissermaßen dieser Logik bis auf den Grund: Wenn die Revolution laut Anspruch der derzeitigen Regierung ein Synonym für die Rückgewinnung von Territorium, Religion und Identität ist, so ist eine Wiederherstellung des Königreichs Georgien als Ergebnis dieses Prozesses nicht undenkbar. „Seit dem Ende der Herrschaft der Bagrationi durch die russische Annektierung 1801 ist es das Ziel des georgischen Volkes, seine Königsdynastie wieder eingesetzt zu sehen“, erklärte der Patriarch. Sein Vorschlag geht nicht nur in Richtung der kulturellen Bewegung, die seit der Revolution eine Blüte erlebt, sondern auch in die der Verlautbarungen der Nationalen Bewegung selbst, die als Förderer der Demokratie auftritt. Die Errichtung einer Monarchie nach britischem Modell würde aber nicht in Widerspruch mit den Prinzipien der „post-revolutionären“ Macht treten.

Die Opposition hat sofort die Idee einer Monarchie angenommen und bereitet eine Parlamentsdebatte für den 25. Oktober vor. „Wir, die Mehrheit der Oppositionsparteien, glauben, dass wir eine parlamentarische Regierungsform brauchen, und seine perfekte Form ist die konstitutionelle Monarchie“, erklärte am 8. Oktober ein Abgeordneter der Konservativen Partei, Swiad Dsidsiguri. Verschiedene Vertreter der Opposition wie Salome Surabischwili oder Konstantin Gamsachurdia zeigten sich sehr begeistert von der Idee.

Saakaschwili selbst reagierte erst sechs Tage nach der Erklärung des Patriarchen. „Meine Großmutter war auch eine Bagrationi“, meinte er ironisch, „so ist es sogar leichter; das erübrigt den Wahlkampf, und alles kann auf der Ebene von Familientraditionen entschieden werden“. Die Regierungsmehrheit vertrat hingegen die Auffassung, dass eine konstitutionelle Monarchie in der derzeitigen Phase ungeeignet für Georgien sei. Einige Abgeordnete halten sie aber für „denkbar“ nach einer Wiederherstellung der territorialen Integrität des Landes. Nach dieser Logik muss das System vorübergehend präsidentiell sein, um das Land bis zur Rückgewinnung seiner „fehlenden“ Gebiete zu führen, woraufhin dann die definitive Struktur des Landes entschieden werden könne.

Ist das Ganze eine von der Orthodoxen Kirche gelenkte Abwechslung, um die direkte Konfrontation zwischen der Regierung und der Opposition zu verhindern? Ist es ein wirkliches Projekt, das laut Ilia II. „allerdings Jahre dauern wird“? In jedem Fall markiert das Heraufbeschwören einer möglichen Wiederherstellung des georgischen Königtums eine neue Stufe sowohl im Gleichgewicht der internen politischen Streitereien als auch in der ideologischen Entwicklung im post-revolutionären Georgien. Diese Idee könnte sehr wohl für viele Georgier die einzige Gewähr gegen das Gespenst der inneren Zerstrittenheit sein. Die direkten Nachfahren des letzten georgischen Königs, Georg XII Bagrationi, wird diese Idee freilich nicht wenig überraschen. Denn falls das Projekt Wirklichkeit werden sollte, wie es in Bulgarien der Fall gewesen ist, dann wird ein Streit um den Platz auf dem Thron ausbrechen. Dieser könnte nämlich von verschiedenen Mitgliedern der ehemaligen Königsfamilie, die heute in Spanien, Italien und Georgien lebt, beansprucht werden.

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